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Gesünder arbeiten mit dem Roboteranzug

Text von Moritz Kudermann
04.03.2024
Unternehmen

Exoskelette sollen vor allem in der Industrie, Logistik und Pflege helfen, körperliche Arbeit zu erleichtern. Darüber freuen sich sowohl Angestellte als auch Arbeitgeber. 

Bücken, Heben, Ziehen oder Stemmen: Wer täglich körperlich gefordert ist, stößt meist irgendwann an seine Grenzen. Die Muskeln sind überbelastet, die Gelenke verschlissen – an ein Arbeiten ohne Schmerzen ist nicht mehr zu denken. Die Statistik zeigt: In Deutschland lässt sich knapp jeder vierte Krankheitstag auf Muskel-Skelett-Erkrankungen zurückführen. In einigen Arbeitsbereichen, wie in der Gepäckverteilung eines Flughafens oder im Logistiklager eines Transportunternehmens, dürften es sogar deutlich mehr Ausfälle sein. Die Bionik forscht deshalb bereits seit Jahrzehnten an einer Verbindung von natürlichen und technischen Kräften – mechanische oder sogar robotergesteuerte Stützstrukturen sollen die Arme, Beine oder den Rücken der Mitarbeitenden entlasten. Doch wie arbeitet es sich mit einem solchen Exoskelett?

Manche Anwender heben über den Tag verteilt mehr als 40 Tonnen Gewicht. Mit unserem Exoskelett lassen sich so schnell über zehn Tonnen an Belastung einsparen.
Dominik Heinzelmann, Geschäftsführer Htrius

Mehr Kraft mit weniger Aufwand

Auf den ersten Blick ähnelt ein Exoskelett einer Art Rucksack mit Federn, elastischen Bändern oder Seilzügen. Je nach Ausstattung gleicht es auch einem Anzug. Ein passives Exoskelett ist verhältnismäßig klein und wiegt selten mehr als zwei Kilogramm. Bänder und Federn nehmen die Energie einer Bewegung auf und geben sie bei einer anderen Bewegung wieder ab. So stabilisieren sie beim Bohren über Kopf zum Beispiel die Schulter oder helfen dem Rücken dabei, sich nach dem Bücken wieder aufzurichten. Im Gegensatz dazu haben aktive Exoskelette einen eigenen Antrieb, etwa durch einen Akku. Diese Variante verstärkt die Bewegungen des Anwenders mit zusätzlicher Kraft – bis zu 30 Kilogramm Mehrgewicht soll etwa das Modell Cray X des Augsburger Start-ups German Bionics stemmen.

Ob aktiv oder passiv: Alle Hersteller werben mit den Gesundheitsvorteilen für Anwender. Das Unternehmen Htrius aus Horb am Neckar hat sein Produkt unter anderem an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich testen lassen, um die Vorteile genauer beziffern zu können. Um 24 bis 30 Prozent entlastet das Exoskelett den Rücken, so das Ergebnis der Untersuchung. „Manche Anwender heben über den Tag verteilt mehr als 40 Tonnen Gewicht. Mit unserem Exoskelett lassen sich so schnell über zehn Tonnen an Belastung einsparen“, rechnet Htrius Geschäftsführer Dominik Heinzelmann vor.  
Arbeitsplätze attraktiver gestalten

Von diesem Vorteil wollte sich der Flughafen Stuttgart selbst überzeugen. Knapp 15.000 Gepäckstücke werden hier täglich verladen. Rund 300 davon sind Sperrgepäck, das nicht nur unhandlich, sondern oft auch sehr schwer ist. Für die Mitarbeiter in der Abfertigung eine hohe Belastung. Um diese zu reduzieren, hat der Flughafen vor rund vier Jahren zwei aktive Exoskelette von German Bionics gekauft. Seit 2023 sind zusätzlich sechs passive Hilfen von Htrius im Gepäckverteiler des Flughafens im Einsatz. Hier landen die Koffer nach dem Check-In und Mitarbeiter müssen sie auf einen Gepäckwagen laden. Besonders im Sommer, wenn viele Urlauber mit schwerem Gepäck reisen, sei das Exoskelett eine große Hilfe, sagt ein Mitarbeiter. „Es nimmt uns bei jedem Heben mehrere Kilos ab – das entlastet spürbar den Rücken.“ Darüber hinaus sorgt das Gerät dafür, dass die Mitarbeiter die Hebebewegung richtig ausführen, also mit geradem Rücken und gebeugten Knien.

Neben dem Flughafen Stuttgart setzen auch andere Unternehmen Exoskelette ein, unter anderem Ford, Dachser, Amazon oder die Deutsche Bahn.

Doch es gibt auch Situationen, in denen die künstliche Hilfe hinderlich ist: „Zum Beispiel, wenn wir zwischen verschiedenen Gepäckbändern wechseln müssen“, so der Airport-Beschäftigte. Das aktive Exoskelett Cray X von German Bionics schränkt den Bewegungsspielraum beispielsweise merklich ein. Ein weiterer Nachteil: Aktive Modelle wiegen zwischen sechs und acht Kilogramm. Bei ständigem Bücken und Aufrichten am Gepäckband bedeutet das über den Tag verteilt mehr als eine Tonne an Extragewicht für den Träger. „Am Anfang haben wir das Gerät deshalb vor allem in Phasen angelegt, in denen sehr viel Gepäck anfällt“, erklärt der Mitarbeiter. Doch damit es seinen vollen Nutzen entfaltet, muss es dauerhaft getragen werden. Wer es nur die Hälfte der Zeit nutzt, hat einen entsprechend geringeren positiven Effekt auf Muskeln und Gelenke – und ist weit entfernt von der oben beschriebenen 30-prozentigen Entlastung.

Der Nutzen überwiegt

Neben dem Flughafen Stuttgart setzen auch andere Unternehmen Exoskelette ein, unter anderem Ford, Dachser, Amazon oder die Deutsche Bahn. Die Bewegungshilfen haben ihren Preis: Die passive Variante Bionic Back von Htrius kostet rund 3.000 Euro, die aktive Version Cray X von German Bionic gibt es im Abonnement ab 599 Euro pro Monat. Dem gegenüber steht die Rechnung der Hersteller: „Wenn ein Mitarbeiter arbeitsunfähig ist, kostet das unsere Kunden 500 bis 700 Euro am Tag“, sagt Htrius-Geschäftsführer Heinzelmann. Sind Mitarbeiter seltener krank, zahlt sich die Investition also recht schnell aus.

Ein weiterer möglicher Grund, die Kosten eines Exoskeletts in Kauf zu nehmen: Sie können die Produktivität steigern. Sowohl Heinzelmann als auch die Sprecherin des Flughafens Stuttgart betonen zwar, dass es bei deren Einsatz eben genau nicht darum gehe, mehr Arbeit zu erledigen, sondern die Gesundheit der Angestellten zu schonen. Trotzdem ist es möglich, die Arbeitsleistung mit ihrer Hilfe zu steigern. Weil die Beschäftigten dadurch de facto aber mehr arbeiten, erkennt etwa die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Exoskelette noch nicht als persönliche Schutzausrüstung an. Sie empfiehlt Betriebsräten, Verträge zur Nutzung von Exoskeletten auszuhandeln. Unterm Strich zählt jedoch nur eins: „Unsere Mitarbeiter sind unser wertvollstes Kapital. Ihre Gesundheit zu schützen, steht für uns an erster Stelle“, sagt Beate Schleicher vom Flughafen Stuttgart.  

32 Prozent
der Arbeitnehmer fühlen sich durch körperliche Belastungen am Arbeitsplatz gefährdet.
Quelle: Statistisches Bundesamt 

35,2 Milliarden Euro
Ausfall an Bruttowertschöpfung verursachen Muskel- und Skeletterkrankungen in Deutschland. 
Quelle: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2023

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