Zum Seiteninhalt springen Zur Fußzeile springen

Treibhausgas als Klimaretter

Text von Dominic Fernandez
19.11.2021
Unternehmen

Damit die Energiewende gelingt, muss grüner Strom unabhängig vom Wetter immer und überall verfügbar sein. Ein neuer Energiespeicher soll helfen, das Problem zu lösen. Schlüssel der Technologie ist ausgerechnet das viel gescholtene CO2 – freilich in klimafreundlicher Form.

Erneuerbare Energien sind grundsätzlich eine tolle Sache, sie haben allerdings einen Haken: Sie sind genauso launisch wie das Wetter. Weht nur ein laues Lüftchen, liefern Windräder kaum Strom. Und wenn Wolken die Sonne verdecken, kommen Solarpaneele nicht auf Touren. Andererseits produzieren die Hoffnungsträger der Energiewende bei langen Sonnenphasen und starkem Wind viel zu viel Strom. Damit der Abschied von Kohle und Gas gelingt, müssen deshalb große und bezahlbare Energiespeicher her.  

Das Problem ist bekannt, die Lösung allerdings lässt auf sich warten. Einen vielversprechenden Ansatz hat nun der Italiener Claudio Spadacini entwickelt: Der Ingenieur und Energieexperte hat zusammen mit Kollegen das Unternehmen „Energy Dome“ gegründet. Seit 2019 arbeitet er daran, die Energiewirtschaft von Grund auf zu revolutionieren. Auf der Mittelmeerinsel Sardinien haben die Wissenschaftler die erste „CO2-Batterie“ der Welt gebaut: Eine mächtige High-Tech-Anlage mit Kuppelbau, Gastanks und Turbinen.

Die Idee, Kohlendioxid als Energiespeicher zu nutzen, überrascht zunächst. Immerhin gilt das Treibhausgas als Hauptursache der globalen Erwärmung. Ein Großteil aller Klimaschutzmaßnahmen zielt darauf ab, CO2 in der Luft zu reduzieren. In der Speicheranlage der Italiener wird das Gas hingegen nicht als Abfallprodukt in die Atmosphäre geblasen, sondern als Speichermedium genutzt.

Herzstücke des Energiespeichers sind einerseits der „Dom“ – eine mächtige Kuppel, prall gefüllt mit Kohlendioxid – und andererseits mehrere deutlich kleiner dimensionierte Tanks. In denen landet der überschüssige Strom nämlich gewissermaßen, wenn er anderswo nicht benötigt wird. Genauer gesagt: die darin enthaltene Energie. Denn allen Fortschritten in der Lithium-Ionen-Technologie zum Trotz ist es nach wie vor teuer, Strom in großen Mengen in Akkus zu speichern. Also muss die Energie aus Sonne und Wind in anderer Form gelagert werden – zum Beispiel als Wärme, Flüssigkeit oder Gas.

Spadacini hat keine Batterie im eigentlichen Sinne gebaut, auch wenn die Anlage so heißt: Er nutzt den überschüssigen Öko-Strom, um das in der Kuppel seiner Anlage gespeicherte Kohlendioxid unter Druck in einen nahezu flüssigen Zustand zu versetzen und dann stark komprimiert in kleine Tanks zu pressen. Herrscht akuter Strommangel, fließt das CO2 zurück, dehnt sich wieder in seine ursprüngliche Gasform aus und treibt mit der dabei frei werdenden Energie die Generatoren der Anlage an. Der frisch produzierte Strom fließt dann ins Versorgungsnetz. Dieser Vorgang kann nahezu beliebig oft wiederholt werden. Energy Dome verspricht im Ergebnis Ökostrom, wann und wo immer er gebraucht wird.

Anfang 2022 soll der Prototyp auf Sardinien den Betrieb aufnehmen. „Es ist ein wichtiger Meilenstein, dass wir unsere Technologie schon eineinhalb Jahre nach Unternehmensgründung zeigen und vorführen können“, sagt CEO Claudio Spadacini. Die Pilotanlage kann vier Megawattstunden Energie speichern, für einen Zeitraum von mehreren Stunden oder Tagen. Das würde immerhin reichen, um mehrere hundert Haushalte vorübergehend mit Strom zu versorgen. Das ist aber nur der Anfang . Bereits die nächste Ausbaustufe soll 25 Megawattstunden Energie speichern können. Später könnten auch Anlagen mit Speichervolumen von 100 und 200 Megawattstunden machbar sein – dank modularer Bauweise je nach Bedarf. Weiterer Vorteil: Die Anlage kann innerhalb von Sekunden hochfahren und damit Spitzenlasten im Netz abfangen. Um die Stromversorgung stabil zu halten, müssten allerdings zahlreiche solcher Anlagen in der Fläche verteilt in Betrieb gehen.

Das könnte gelingen, weil nicht nur die technische Idee, sondern auch deren Umsetzung innovativ ist: Das Unternehmen verzichtet auf kostspielige Spezialanfertigungen und nutzt stattdessen gängige Materialien und Bauteile, die gut verfügbar sind. Entsprechend hat Spadacini sein Geschäftsmodell entwickelt: Der Prototyp auf Sardinien dient als Vorführobjekt, um zum Beispiel Betreiber von Wind- und Solarparks als potenzielle Kunden zu gewinnen. Der Pionier will die Anlagen später nicht selbst bauen, sondern die Technologie in Lizenz verkaufen. Die Kunden, so der Plan, können sich mit dem Know-how dann ihren eigenen Energy Dome bauen – oder bauen lassen. Wenn das Konzept aufgeht, könnte das italienische Start-up auf diese Weise mit dem schnell wachsenden Markt grüner Energiespeicher Schritt halten. 

Denn so viel steht fest: Die Nachfrage nach Großspeichern wird in den kommenden Jahren stark steigen, wenn konventionelle Kraftwerke vom Netz genommen werden, die bislang bei Bedarf hochgefahren werden. Deshalb forschen auch andere Unternehmen in diesem Bereich und nutzen zum Beispiel Sauerstoff als Speichermedium. Spadacini sieht seine Methode im Vorteil, weil sich Kohlendioxid in flüssiger Form leichter und effizienter speichern lässt und damit auch zu niedrigeren Kosten – und der Preis wird wie so oft im Leben auch bei Energiespeichern der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen.

44 %
steuerten die erneuerbaren Energien hierzulande im ersten Halbjahr zum deutschen Strom-Mix bei.
Quelle: Destatis, 2021

65 %
des Bruttostromverbrauchs in Deutschland sollen bis zum Jahr 2030 durch erneuerbare Energien abgedeckt sein.
Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, 2021

Ähnliche Artikel