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Das zweite Leben der Spargelstangen

Text von Dominic Fernandez
11.10.2021
Unternehmen
Verpackungen aus Kunststoff sind wenig umweltfreundlich. Schalen, Folien und Kisten aus nachwachsenden Rohstoffen könnten eine nachhaltige Alternative sein. Forscher haben verschiedene Ansätze entwickelt. Sie verwenden Holz, Stroh und Spargel.

Verbraucher kennen Spargel als ein besonders teures Gemüse. Bis zu 25 Euro pro Kilogramm waren im Frühjahr 2021 im Supermarkt fällig. Doch obwohl die Stangen so wertvoll sind, wird nur rund die Hälfte des in Deutschland geernteten Spargels verkauft. Der Rest wird als Tierfutter benutzt oder kommt gar auf den Kompost – weil Stangen zu dick, zu dünn oder brüchig sind.

Forscher der Hochschule München wollten sich damit nicht zufriedengeben. Vor drei Jahren fragten sich die Wissenschaftler der Fakultät für Papier und Verpackung: Lassen sich aus Spargelfasern nachhaltige Verpackungen herstellen? Im Labor prüften sie, ob Spargel die notwendigen Eigenschaften besitzt. Dabei zeigte sich, dass getrocknete Spargelfasern nicht nur Wasser aufnehmen können, sondern es auch über lange Zeit halten können – ideale Voraussetzungen für Obst- und Gemüseverpackungen. „Schalen aus Spargelfasern eignen sich gut für Beerenverpackungen, zum Bespiel für Erdbeeren“, sagt Helga Zollner-Croll, Professorin an der Hochschule und Leiterin des Projekts. Die Münchner wollen nun weiter an konkreten Anwendungsmöglichkeiten für Verpackungen aus Spargelfasern forschen. Eine Idee: Bauernhöfe, die Spargel und Obst anbauen, könnten in Zukunft ihre Spargelabfälle verwenden, um Früchte aus eigenem Anbau zu verpacken. Ein Projektpartner der Hochschule sucht aktuell einen Verpackungs- und Papierhersteller, der Interesse hat, die Verpackungen zu vermarkten.

Ideen wie die der Münchner Forscher könnten in den kommenden Jahren dazu beitragen, dass die Verpackungsindustrie nachhaltiger wird. Bisher bestehen viele Verpackungen aus Kunststoffen. Nicht alle werden recycelt, manche gelangen in die Umwelt – mit schwerwiegenden Folgen etwa für die Ozeane. Eine Plastiktüte braucht bis zu 500 Jahre, bis sie sich in der Natur vollständig aufgelöst hat. Eine Plastikflasche sogar bis zu 5.000 Jahre. Bei Styropor lässt sich die Zersetzungsdauer kaum bemessen. Kompostierbare Verpackungsmaterialien können eine umweltfreundliche Lösung sein – jedenfalls wenn sie ähnlich reißfest und nicht erheblich teurer sind. Dass dies schon in naher Zukunft möglich sein könnte, beweist die steigende Anzahl innovativer Projekte, die nachhaltige Verpackungen entwickeln.

Das Münchener Startup Landpack zum Beispiel hat dem Styropor den Kampf angesagt. Landpack hat einen umweltfreundlichen Styroporersatz entwickelt, der sich problemlos auf einem Komposthaufen im Garten entsorgen lässt. Das Material besteht aus Stroh, das als landwirtschaftliches Abfallprodukt in großen Mengen zur Verfügung steht. Die Strohhalme werden gesäubert, zerschnitten und unter hohem Druck zu Paneelen geformt. Stroh verfügt über ideale Eigenschaften für eine Isolierverpackung: Es dämmt nicht nur gut, sondern entzieht zudem der Luft Feuchtigkeit. Dadurch bleibt der Inhalt einer Verpackung je nach Verwendungszweck sowohl warm oder kalt als auch trocken.

Biologisch abbaubare Boxen verkauft das Start-up zum Beispiel an Lieferdienste, die Essen darin für den Transport zum Kunden verpacken. Um die Stroh-Boxen in großer Stückzahl zu produzieren, arbeitet Landpack mit Landwirten aus der Region München zusammen, die Stroh als Abfallprodukt im Getreideanbau produzieren. „Wir zeigen beispielhaft, welches verborgene Potential in lokal verfügbaren pflanzlichen Rohstoffen steckt“, sagt Unternehmensgründerin Patricia Eschenlohr. „Und wie mit Innovationsgeist schon jetzt viele Erdölprodukte ersetzt werden können.“ Preislich können die umweltfreundlichen Boxen bereits mit Styropor konkurrieren. Zu den Landpack-Kunden gehören neben Lieferdiensten auch Einzelhändler wie Alnatura und Feinkost Käfer.

Auch das Start-up Superseven aus Wentorf bei Hamburg hat eine nachhaltigere Alternative zu herkömmlichen Verpackungen entwickelt. Die Gründer vertreiben kompostierbare Zellulose-Folien unter dem Markennamen Repaq. Die transparente Folie sieht den herkömmlichen Produkten aus Plastik zum Verwechseln ähnlich. Dabei ist die Repaq-Folie aus Zellulose hergestellt, die aus Holz gewonnen wird. Obwohl das Material nicht so reißfest wie Plastikfolie ist, lassen sich Lebensmittel, Zeitschriften, Hygieneartikel und Elektronik darin sicher verpacken. Die Idee hinter dem Produkt ist nicht neu. Bereits im Jahr 1908 wurden die ersten Folien aus Zellulose gefertigt. Superseven hat das Material wiederentdeckt und eine patentierte Methode entwickelt, mit der sich besonders luft- und wasserdichte Folien herstellen lassen. Zu den ersten Kunden gehört ein Anbieter kompostierbarer Zahnbürsten, der sein Produkt ökologisch nachhaltig verpacken möchte. Allerdings ist Zellulose ein Rohstoff, der preislich nicht mit günstigem Kunststoff mithalten kann. Deshalb kostet die kompostierbare Folie ungefähr doppelt so viel wie herkömmliche Plastikfolie.

Doch selbst wenn Kunden in den kommenden Jahren eher bereit sein werden, für ein Produkt in einer kompostierbaren Verpackung etwas mehr Geld zu bezahlen, bleibt eine weitere Herausforderung ungelöst. In kleinen Mengen lassen sich die neuartigen Verpackungen problemlos aus Abfällen herstellen – sei es aus Spargel, Stroh oder Holz. Doch sobald die Nachfrage nach den Öko-Verpackungen steigt, könnte es nötig werden, die Rohstoffe dafür eigens anzubauen. Das würde die Ökobilanz deutlich verschlechtern. Für dieses Problem werden sich die Verpackungs-Pioniere noch etwas einfallen lassen müssen.

64 Prozent
Anteil von Kunststoff an Obst- und Gemüseverpackungen in Deutschland im Jahr 2019
Quelle: NABU

12 Wochen
Maximale Dauer der Industriekompostierung eines Werkstoffs, der als biologisch abbaubar und kompostierbar gilt (Europäische Norm EN 13432, mindestens 90 % abgebaut)
Quelle: European Bioplastics

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