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„Weiter so geht einfach nicht!“

Text von Susanne Widrat
11.09.2022
Unternehmen

Charlotte Piller ist Mitgründerin des Mode-Start-ups Lotta Ludwigson. Im Interview spricht sie über die Haltbarkeit kompostierbarer Anzüge, zeitlose Mode sowie die Sünden ihrer Branche. Und sie beschreibt, was Fast Fashion mit uns macht.

Te:nor: Frau Piller, Ihr Start-up Lotta Ludwigson entwirft und fertigt kompostierbare Damen-Anzüge. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Charlotte Piller: Wir nutzen für unsere Anzüge ausschließlich Materialien, die vollständig biologisch abbaubar sind. Also zum Beispiel Schurwolle oder Baumwolle für die Stoffe und Schulterpolster, Horn beziehungsweise Steinnuss für die Knöpfe. Und wir vermeiden Kunststoff komplett, verwenden also zum Beispiel Knöpfe anstelle von Reißverschlüssen. Dieser Fokus beeinflusste auch die Auswahl unserer Partner. So haben wir sehr lange suchen müssen, bis wir eine Näherei fanden, die Baumwollfäden verarbeitet und trotzdem einen angemessenen Preis abrechnet. Diese Fäden reißen beim Nähen etwas schneller, müssen also zum Beispiel viel öfter neu eingefädelt werden – was Zeit kostet.

Biologisch abbaubar – damit assoziiert man nicht unbedingt nur positive Aspekte. Muss ich Angst haben, dass sich der Stoff bei Regen langsam auflöst oder mit der Zeit spröde wird und reißt?

Auf keinen Fall! (lacht) Das ist wie bei einem Mantel aus dicker Wolle: Der Stoff wärmt, ist geruchsresistent, atmungsaktiv – und hält sehr lange.

Wie sind Sie auf diese Geschäftsidee gekommen?

Ich habe selbst nach schönen, nachhaltig produzierten Anzügen gesucht. Es ist zum Verzweifeln – das Angebot war gleich null.

Deswegen gründen Sie gleich ein Modelabel?

Es kann doch nicht sein, dass die Werte, die wir leben wollen, vor unserem Kleiderschrank halt machen. Wie viele Frauen, die Nachhaltigkeit propagieren und für viele junge Menschen Vorbild sind, tragen bei ihren öffentlichen Auftritten Mode, die alles andere als nachhaltig ist? Es gibt zwar Bekleidung im Street-Style, die unter dem Label Nachhaltigkeit vertrieben wird – aber eben selten Mode im gehobeneren Segment, wie sie zum Beispiel Managerinnen oder Unternehmerinnen tragen.

Sie sagen „unter dem Label der Nachhaltigkeit vertrieben“ – das klingt sehr skeptisch. Trauen Sie den Versprechen der Hersteller nicht?

Nachhaltigkeit muss für mich immer ganzheitlich sein. Das heißt, dass man nicht nur auf ökologische Materialien oder nur auf faire Produktionsbedingungen setzt. Viele der Unternehmen denken noch nicht ganzheitlich nachhaltig, sprich in einem kompletten Kreislauf.Und wenn, dann vielleicht einmalig für eine einzelne Kollektion.

Nachhaltige Mode bedeutet also für Sie…

…designen nach dem Vorbild der Natur, nach dem Cradle-to-Cradle-Ansatz: Alles, was wir der Natur entnehmen, wandeln wir in ein Produkt, den Anzug, um. Nach diversen Lebenszyklen soll das verwendete Material aber nicht auf dem Müll landen, sondern wieder als Ressource zurück in den natürlichen Kreislauf wandern. Das ist bei den meisten Bekleidungsstücken derzeit anders: Circa 99 Prozent der Kleidung kann nicht direkt zu Textilien recycelt werden.

Sie sprechen von „diversen Lebenszyklen“ – Mode unterliegt aber doch Trends und wird von uns entsprechend schnell abgelegt.

Ja, aber das betrifft den klassischen Anzug nicht so sehr. Nachhaltigkeit bedeutet für uns zudem, dass wir nicht nach Trends designen. Stattdessen nutzen wir zeitlose Schnitte und langlebige Materialien, sodass unsere Kundinnen die Bekleidung über mehrere Generationen hinweg weitergeben können.

Also alles ganz im Sinne von Cradle to Cradle.

Ja, deshalb schaffen wir bei Lotta Ludwigson auch die Möglichkeit, unsere Anzüge wiederzuverwenden. Wir schaffen ein zirkuläres Geschäftsmodell: Kundinnen, denen ein Anzug nicht mehr passt, können diesen zurückgeben. Wir bereiten das Stück auf und geben ihm in einer Art Second-Hand-Shop auf unserer Website die Chance für ein zweites oder sogar drittes Leben.

Sie gehen damit gegen den aktuellen Trend: Derzeit befinden wir uns im Zeitalter der Fast Fashion beziehungsweise der Ultra-Fast Fashion…

Auf jeden Fall Letzteres. Unternehmen präsentieren auf ihren Webseiten Tausende Stile – nahezu nichts davon ist recycelbar oder biologisch abbaubar.

Was macht diese Schnelllebigkeit mit uns?

Diese trendgetriebenen Designs erzeugen enormen Druck auf die Konsumenten und werden vor allem durch die sozialen Medien gepusht. Ständig wird uns erklärt, dass wir dieses Bekleidungsstück oder jenes Teil haben müssen. Das Rad dreht sich immer schneller und es wird immer ungesünder – für uns und für die Umwelt. Wer innehält, muss feststellen: Wir schätzen Kleidung gar nicht mehr wert. Wir müssen uns wieder bewusst machen, was die Herstellung von Pullovern, Blusen oder Hosen kostet und was ein angemessener Preis dafür wäre – jedes Teil ist ja Handarbeit. Zudem sollten wir öfter einmal überlegen, wie man Kleidung richtig pflegt oder kleinere Änderungen und Reparaturen ausführt, damit die Stücke länger halten.

Ultra-Fast Fashion führen Sie also vor allem auf die sozialen Medien zurück?

Ja, eindeutig. Während Fast Fashion sich zum größten Teil noch in den physischen Filialen der bekannten Unternehmen abspielt, die T-Shirts für fünf Euro verkaufen, ist Ultra-Fast Fashion sehr stark durch Social Media getrieben. Allen voran von TikTok-Influencern, die ständig neue Outfits präsentieren und den Konsumenten suggerieren: „Das braucht ihr auch!“ Manche Unternehmen präsentieren 6.000 neue Styles – pro Tag!

Ist Ihre Zielgruppe schon so weit, sich auf einen biologisch abbaubaren Anzug einzulassen?

Veränderungen beginnen immer mit einer kleinen Gruppe oder in einer kleinen Nische. Früher war man Öko, wenn man Bio-Lebensmittel kaufte. Mittlerweile sind Bio-Lebensmittel positiv konnotiert – die Leute achten darauf, was sie essen. Ich habe das Gefühl, dies geschieht nun auch allmählich in der Mode. Massentauglich ist nachhaltige Kleidung leider noch nicht. Aber der Trend ist eindeutig erkennbar.

Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in fünf Jahren?

Toll wäre es, wenn wir die „go to“-Marke für nachhaltige Anzüge und generell „business wear“ wären: Wer ein neues Stück benötigt, kommt zu uns, weil er weiß, wie wir produzieren, beziehungsweise welche Menschen und Werte hinter der Marke stehen.

Und wo sehen Sie die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt?

Es wird immer mehr Menschen geben, die anfangen umzudenken: Woher kommen die Produkte, die mich umgeben? Was möchte ich konsumieren? Brauche ich dieses Produkt wirklich? Das Bewusstsein für nachhaltiges Leben ist gestiegen. Gleichzeitig wird aber auch Fast Fashion zugelegt haben. Es wird kein entweder oder geben, sondern beide Trends entwickeln sich parallel.

Das klingt nicht sehr optimistisch.

Meine Hoffnung ist, gerade auch im Hinblick auf die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung, dass Menschen sich zunehmend stärker überlegen, was sie konsumieren. Ich würde mir wünschen, dass sie insgesamt weniger kaufen, aber im Gegenzug auf qualitativ hochwertigere Produkte setzen. Wir müssen unser Konsumverhalten einfach ändern. Weiter so geht einfach nicht!

60 Kleidungsstücke
neu kauft jeder Deutsche im Durchschnitt pro Jahr.
Quelle: Greenpeace

70+ Chemikalien
die gesundheits- und umweltgefährdend sind setzt die Textilindustrie in der Herstellung ein.
Quelle: Greenpeace

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