Zum Seiteninhalt springen Zur Fußzeile springen

Die Alpen-Rohrpost

Text von Maria Kessen
17.03.2023
Unternehmen

Fahrerloser Güterverkehr unter der Erde: Ein Schweizer Konsortium plant einen Untergrundtunnel nördlich der Alpen.

Ab 2026 wird gebohrt: In 50 bis 70 Meter Tiefe entsteht ein sechs Meter breiter und rund 70 Kilometer langer Tunnel zwischen Härkingen-Niederbipp und Zürich. Das Besondere: Elektrisch angetriebene, fahrerlose Transporter fahren mit einer konstanten Geschwindigkeit von ungefähr 30 Kilometern pro Stunde zwischen den beiden Städten hin und her. Eine dritte Spur bietet Platz zum Parken oder für den Richtungswechsel.

„Auf der ersten Teilstrecke etwa wird es ungefähr alle zehn Kilometer eine Anschlussstelle oder einen Hub geben. Hier gelangen die Güter automatisch per Lift an die Oberfläche und werden dann von klimafreundlichen Fahrzeugen in die einzelnen Märkte transportiert“, sagt Patrick Aellig. Der Kommunikationschef des Schweizer Konsortiums Cargo Sous Terrain (CST) AG ist sich sicher: Der Tunnel wird dafür sorgen, dass der Lieferverkehr in den Städten um ein Drittel sinkt und sich die Lärmemissionen in der Region halbieren. Bis zum Jahr 2045, so der Plan, erfolgt der schrittweise Ausbau des Tunnels zu einem 500 Kilometer langen Gesamtnetzes nördlich der Alpen – vom Genfer- bis zum Bodensee mit Ablegern nach Basel, Luzern, St. Gallen und Thun.

Stillstand im Transitland

Tatsächlich staut sich auf Schweizer Autobahnen immer häufiger der Verkehr. Allein am Gotthardtunnel verzeichnete die Polizei im Juli 2022 rund 350 Stunden Stau - das entspricht fast der Hälfte eines Monats. Schuld am Stillstand sind nicht nur die vielen Urlauber, sondern vor allem auch die zahllosen Lkws. Die Zahl der Güter, die in oder durch die Schweiz transportiert werden müssen, wächst stetig. In den nächsten 30 Jahren rechnet der Schweizer Bund mit einem Zuwachs des Lieferwagenverkehrs um weitere 58 Prozent. Das hohe Verkehrsaufkommen belastet nicht nur die Autobahnen. Auch auf den Ausweichrouten führt es zu steigenden CO2-Emissionen, Lärmbelastungen und Verspätungen – ein Ende der Staulage ist nicht in Sicht.

Kein Wunder also, dass sich das CST-Konsortium, unter dessen Dach sich mehr als 70 Unternehmen versammelt haben, auf eine Schweizer Fähigkeit besinnt, für die die Eidgenossen weltweit bekannt sind: den Tunnelbau. Sind die unterirdischen Trassen sowie die Hubs erst einmal in Betrieb, soll die Transportmöglichkeit einem möglichst breiten Kreis zur Verfügung stehen: „Logistik- und Versandunternehmen sowie Transportdienstleister – jedes Unternehmen und auch Privatleute werden Cargo Sous Terrain künftig nutzen können“, sagt Aellig. Denkbar ist auch, so Aellig, dass Versandkunden sich beim Verschicken von Paketen für CST als Dienstleister entscheiden können. „Verschickt“ werden kann dabei grundsätzlich alles, was auf zwei Paletten passt: Kleider, Lebensmittel, Möbelstücke oder sogar recycelbare Abfälle.

Erste Bauetappe ist gestartet

Bevor die eigentlichen Bauarbeiten beginnen, geht es aber erst einmal an die Planung. Seit Januar 2023 führt das Konsortium Sondierungsbohrungen und geophysikalische Messungen entlang der ersten Teilstrecke Härkingen-Niederbipp-Zürich durch. Mit den gewonnenen Erkenntnissen will das Team auch die Bewilligungsverfahren vorantreiben, damit der Transporttunnel wie vorgesehen im Jahr 2031 in Betrieb gehen kann. „Wir möchten wissen: Wie ist der Untergrund beschaffen? Wo haben wir massives Gestein? Auf welche geologischen Schichten treffen wir?“, so Aellig. Denn davon hängt nicht nur die Trassenführung ab, sondern auch die genaue Platzierung von Güterbahnhöfen, Hubs und Logistikzentren.

Es liegt auf der Hand, dass das Mammutprojekt einiges kosten wird: Für den Ausbau des ersten Streckenabschnitts werden ungefähr drei Milliarden Euro benötigt, die Kosten für das gesamte unterirdische System belaufen sich auf rund 35,7 Milliarden Euro – Geld, das ausschließlich aus der Wirtschaft stammt. Zu den Investoren gehören neben Banken und Versicherungen große Handelsunternehmen wie Coop, Migros, aber auch die Post oder der französische Infrastrukturentwickler Meridiam.

Die Gütermetro – ein Milliardenloch?

Nicht überall stößt das Tunnelprojekt auf Lob. Gerade in Reihen führender Logistikunternehmer gibt es Kritiker – sie fürchten in erster Linie wohl um ihr Stammgeschäft. Im Interview mit der Neuen Züricher Zeitung erklärte beispielsweise der Geschäftsführer der Schweizer Transportfirma Nils Planzer das Projekt für „überrissen“. Nach anfänglicher Unterstützung für die Güter-U-Bahn zog sich das größte private Transportunternehmen der Schweiz 2021 wieder aus dem Projekt zurück. Planzer moniert, dass dessen „Wirtschaftlichkeit noch nie seriös durchgerechnet wurde“.

Doch solche Vorwürfe ficht die Unterstützer des innovativen Projekts nicht an. Einer davon ist Hans Wicki, Mitglied im Schweizer Ständerat. Er vergleicht das Projekt gerne mit dem Bau des Gotthardtunnels, spricht von einer künftigen schweizerischen Pionierleistung. Der Trend zu kleineren Stückguttransporten sei „eine ganz zeitgemäße Entwicklung im Güterverkehr“, sagt Wicki gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Und gerade diese kleineren Einheiten eigneten sich nach seiner Auffassung dafür, unterirdisch an den nächsten Bestimmungsort transportiert zu werden, von wo aus die Feinverteilung erfolge. Für Wicki ist die Alpen-Rohrpost deshalb mehr als nur eine Vision. „Die Vision ist schon Teil der Realität“, sagt der Politiker.

100 %
Ökostrom will CST zum Betrieb der Güter-U-Bahn einsetzen.
Quelle: CST

4 Hubs
sollen Großstädte wie Zürich mit Waren aus dem CST-Tunnel versorgen.
Quelle: CST

Ähnliche Artikel