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„Jeder kann beim Naturschutz mithelfen“

Text von Sina Hoffmann
19.03.2024
Unternehmen

Das Start-up Artenglück setzt sich für mehr Biodiversität ein, indem es unter anderem Blühwiesen pflanzt: Mehr als 400.000 Quadratmeter der bunten Felder bieten Tieren und Insekten bereits ein neues Zuhause. Mitgründerin Lara Boye erklärt im Interview, wie Unternehmen, Landwirte und auch Privatpersonen die Artenvielfalt fördern können.

Frau Boye, wie ist Ihr Unternehmen Artenglück entstanden?

Lara Boye: Wir, das sind Felix, Christoph und ich, gründeten Artenglück im Jahr 2020. Während der Corona-Pandemie legten wir in unserer Freizeit Blühwiesen an, da das Thema Klimaschutz in den Hintergrund gerückt war. Wir bekamen viel Aufmerksamkeit und viele Anfragen – dadurch wurde aus dem Hobby etwas Größeres. Felix und ich entschlossen uns dazu, hauptberuflich mit Artenglück durchzustarten. Christoph hatte inzwischen den landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern übernommen. Er ist aber Partnerlandwirt und unterstützt uns weiterhin.

Auf welche Hürden seid ihr bei der Gründung gestoßen?

Im Gegensatz zu vielen anderen Start-ups hatten wir keine Investoren, Kreditgeber oder Förderquellen, die uns halfen. Wir haben jeder 500 Euro zusammengelegt und so die erste kleine Blühwiese finanziert. In den ersten Jahren konnten wir uns kein Gehalt auszahlen. Uns war klar: Wir können nur wachsen, wenn wir auch entsprechende Umsätze haben. Das heißt, wir können erst jemanden einstellen, wenn wir das Geld schon verdient haben. Dadurch wachsen wir bestimmt langsamer als andere Start-ups, aber sehr stabil. Mittlerweile besteht unser Team aus neun Leuten.

Was wollt ihr bewirken?

Unser Ziel ist es, Biodiversität und Naturschutz einfach zu machen – so einfach, dass alle mitmachen können und Spaß dabei haben. Wir wollen nicht, so wie manche Naturschutzorganisationen, vermitteln, dass die Welt untergeht. Natürlich sehen wir auch die Herausforderungen, aber wir wollen lieber mit positivem Beispiel vorangehen und den Menschen zeigen, dass jeder mithelfen kann. 

Wie funktioniert euer Geschäftsmodell?

Wir bieten Patenschaften für Blühwiesen, Wälder und Feldvogelfenster für Privat- und Unternehmenskunden an. Bei der Patenschaft für Privatkunden geht es darum, das Thema Biodiversität und nachhaltige Landwirtschaft in die Gesellschaft zu tragen und Aufklärungsarbeit zu betreiben. Mit Unternehmen können wir ganze Felder oder große Waldstücke bepflanzen. Wir bieten ihnen auch noch weitergehende Dienstleistungen an, schreiben für sie zum Beispiel Blogartikel und Pressemitteilungen über ihr Engagement oder führen für ihre Mitarbeiter Teamevents und Workshops durch. Mithilfe unseres Monitorings können die Unternehmen die Daten für ihren Nachhaltigkeitsbericht nutzen.

Wie wählt ihr den Standort für eine Blühwiese aus?

Wenn sie genügend Platz haben, können die Unternehmen eine Blühwiese auf ihrem Firmengelände aussäen. Meist entstehen die Blühwiesen aber auf dem Land unserer Partnerlandwirte. Die Aussaat erfolgt im Frühling oder im Herbst und kann im Rahmen eines Teamevents der Firma erfolgen oder wird von den Landwirten übernommen.

Kann jedes Unternehmen eine Patenschaft eingehen?

Eine Patenschaft eignet sich gut für mittelständische bis große Unternehmen, da eine eigene Wiese ein gewisses Budget erfordert. Wir achten zudem darauf, dass die Unternehmen auch in anderen Bereichen nachhaltig sind oder es werden wollen. Voraussetzung ist auch, dass sie mindestens drei Jahre mit uns zusammenarbeiten, um die Maßnahmen nachhaltig umzusetzen. Dafür ermöglichen wir, dass die Naturschutzprojekte im Umkreis von maximal 30 Kilometern um den Wunschstandort herum umgesetzt werden. 

Wie kann ich als Privatperson Pate werden?

Am einfachsten über unseren Onlineshop. Dort kannst du eine Region in deiner Nähe und die Höhe des Betrags für die Patenschaft auswählen. Die Mindestgröße für eine Blühwiese beträgt 5.000 Quadratmeter, schließlich brauchen die Insekten eine gewisse Weite für ihre Ruheoase damit sie sich vermehren. Daher sammeln wir so lange, bis wir genug Geld zusammen haben, um ein ausreichend großes Grundstück einzusäen. Die Paten bekommen eine Patenschaftsurkunde und aktuelle Informationen über die Blühwiesen über unseren Newsletter. Die Standorte werden auch auf unserer Website und bei Google Maps eingetragen, sodass jeder seine Wiese besuchen kann.

Wie konntet ihr die Landwirte davon überzeugen, Blühwiesen auszusäen?

Die Landwirte waren von Anfang an offen für unser Konzept, da sie sehr darunter leiden, dass sie in der Gesellschaft einen schlechten Ruf haben. Mit den Blühwiesen können sie zeigen, dass sie sich für die Natur einsetzen und das, ohne Flächen für die Lebensmittelproduktion zu verlieren. Wir pachten nämlich nur Flächen, die sich nicht zur Lebensmittelproduktion eignen. Da Felix und Christoph aus der Landwirtschaft kommen und Agrarwissenschaften studiert haben, sind sie sehr gut vernetzt. Mittlerweile haben wir eine lange Liste von Landwirten, die mit uns zusammenarbeiten wollen.

Nutzt ihr spezielles Saatgut für die Blühwiesen?

Mit dem Saatgut steht und fällt das gesamte Projekt. Leider gibt es Saatgut und Pflanzen im Supermarkt oder Baumarkt, die so gezüchtet sind, dass die Blüten keinen Nektar und keine Pollen haben. Die Insekten fliegen hin und stellen dann fest, dass es gar nichts zu fressen gibt. Wir nutzen daher spezielles Regio-Saatgut: Wissenschaftler haben Deutschland in 22 Ursprungsregionen mit unterschiedlichen Pflanzenarten eingeteilt. So wachsen zum Beispiel Alpenveilchen eben in den Alpen und nicht in Norddeutschland. Diese Pflanzen werden dann aufwendig per Hand gesammelt und vermehrt, damit das Erbgut nicht verloren geht. Sie sind so besser an die Bedingungen angepasst, haben mehr Nektar und Pollen und ziehen mehr Insekten an.

Ihr sät nicht nur Blühwiesen, sondern forstet auch Wälder auf und baut Feldvogelfenster. Welche Auswirkungen haben eure Projekte?

Studien und auch unser eigenes Monitoring zeigen, dass auf Blühwiesen 400 Prozent mehr Falterarten und 70 Prozent mehr Laufkäfer vorkommen als auf normalen Flächen. Durch die Feldvogelfenster sind 200 Prozent mehr Feldvögel, wie Feldlerchen oder Rebhühner, in den Feldern zu finden. 



Zur Person
Lara Boye hat Sozialwissenschaften sowie Online-Kommunikation und Marketing studiert. Schon damals entdeckte sie ihren Unternehmergeist: 2016 gründete sie ihre eigene Marketingagentur. Vier Jahre später schloss sie sich mit zwei Freunden zusammen und gründete das Start-up Artenglück. Bei Artenglück ist die 30-Jährige nicht nur für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit zuständig, sondern kümmert sich auch um Themen wie HR, Business Development und Strategie.

7.000 Tierarten
in Deutschland sind gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
Quelle: BUND 

50 Prozent
hat der Bestand der Feldvögel in Europa seit 1980 mindestens abgenommen.
Quelle: Institut für Evolutionswissenschaften, Montpellier

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