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Mit CO2 gegen den Hunger der Welt

Text von Beatrix Altmann
23.08.2023
Unternehmen

Ein Start-up aus Wien will überschüssiges Kohlendioxid aus der Atmosphäre in Lebensmittel umwandeln. Können so gleich zwei globale Probleme gelöst werden – die Klimaerwärmung und der Hunger? 

Das globale Ernährungssystem ist derzeit für mehr als ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Einer der Hauptgründe: tierische Produkte. Die Abholzung der Regenwälder, der Transport, die Verarbeitung und Kühlung von Lebensmitteln machen noch einmal bis zu 25 Prozent der weltweiten Emissionen aus. Mit Proteinzutaten aus CO2 will das Wiener Start-up Arkeon den CO2-Emissionen nun zu Leibe rücken – und dafür sorgen, dass weniger Menschen hungern müssen.

Die Kraft der Mikroorganismen

Fermentation – Bierkenner werden nun aufhorchen. Schließlich ist der Gärungsprozess, bei dem Mikroorganismen den aus Stärke gewonnenen Zucker umwandeln, dafür verantwortlich, wie hoch der Alkoholgehalt des Getränks ausfällt und wie viel Kohlendioxid es enthält. Das Gas ist für den Genuss ein erheblicher Faktor: Es sorgt für das Prickeln, für die Schaumkrone. Bier ohne CO2 wäre schal und ungenießbar.

Auch das junge Unternehmen Arkeon nutzt das Verfahren der Gasfermentation. Allerdings in abgewandelter Form: Mikrobielle Einzeller, sogenannte Archaeen, wandeln im Fermentationsprozess Kohlendioxid in alle 20 essenzielle Aminosäuren um, die für die körpereigene Synthese von Proteinen beim Menschen zuständig sind. Anstelle von Zucker benötigen sie hierfür ausschließlich Kohlendioxid und Wasserstoff. „Die Aminosäuren bilden die Basis für Proteine, sind für unsere gesamte Ernährung essentiell und damit die Bausteine für nachhaltige und zugleich ethisch unbedenkliche Proteine, die als Zutaten für nahezu alle Lebensmittel dienen können“, sagt Arkeon Business Co-Founder & President Michael Mitsakos. 

Künstliche Aromastoffe überflüssig 

Die Arkeon-Technologie bietet enormes Potenzial für ganz unterschiedliche Bereiche der Lebensmittelproduktion: angefangen bei pulverisierten Aminosäuren für Zellkulturen, die für Laborfleisch, auch Clean Meat genannt, genutzt werden können, über nahrhafte Zutaten in pflanzlichen Proteinprodukten bis hin zu Proteininhaltsstoffen für Getränke: „Wir können vegane Produkte kreieren, die tierischen Produkten in nichts mehr nachstehen - auch geschmacklich“, verspricht Mitsakos.

Bisher werden für die Herstellung von Milchalternativen oder Fleischersatzprodukten meist Erbsenproteine verwendet. Ein aufwendiger Prozess, da der Eigengeschmack des pflanzlichen Eiweißes oft durch starke Gewürze überdeckt werden muss. Die CO2-Aminsäuren sind flexibler einsetzbar: „Wir können verschiedene Geschmacksprofile herstellen – je nachdem, ob es in Richtung süße Schokolade oder veganes Hühnchen gehen soll. Dabei kommen wir komplett ohne künstliche Aromastoffe aus. Die Nahrungsmittel werden somit gesünder, schmecken besser und sind proteinhaltiger“, so Mitsakos.

Schokoladeneis aus Mikroorganismen

Mit seiner Forschung befindet sich Arkeon in guter, internationaler Gesellschaft. Das finnische Start-up Solar Foods etwa forscht auf ähnlichem Gebiet. Hier bilden Bakterien unter Einsatz von erneuerbarem Strom mit Kohlendioxid, gelöstem Wasserstoff und Stickstoff gleich mehrere Produkte: Aminosäuren, Vitamine, Fette und Kohlenhydrate. Das Ergebnis ist das senffarbene Proteinpulver Solein. Es kann zur Ergänzung von Nahrungsmitteln genutzt werden und erinnert im Geschmack an Soja. Solein soll eine Alternative zu pflanzlichem oder tierischem Eiweiß sein - und gesund dazu, da „es wichtiger Eisen- und Vitamin-B-Lieferant“ ist, heißt es auf der Solar-Foods-Website.

2022 erhielt Solar Foods die Genehmigung, Solein in Singapur zu verkaufen, im Mai 2023 folgte dann die Premiere: Im italienischen Restaurant „Fico“ in Singapur wurde das weltweit erste Solein-Schokoladeneis angeboten. „Es kombiniert den vertrauten, köstlichen Geschmack, den wir alle lieben, mit einer einzigartigen Zutat, die ohne den Einsatz traditioneller landwirtschaftlicher Verfahren hergestellt wird“, schwärmt Fico-Küchenchef Mirko. Die Zukunftspläne von Solar Foods sind ehrgeizig: Zusammen mit dem japanischen Lebensmittelkonzern Ajinomoto will das Start-up weitere Lebensmittel auf Solein-Basis entwickeln. Eine Produktionsanlage, die das Proteinpulver in industriellem Maßstab herstellt, soll schon 2024 ihre Arbeit im finnischen Vantaa aufnehmen.

Aus Stammzellen Fleisch züchten

Forscher aus den USA wiederum verfolgen einen anderen Herstellungsweg, sind aber auch auf der Zielgeraden: Die beiden kalifornischen Firmen Upside Foods und Good Meat erhielten im Juni 2023 vom US-Landwirtschaftsministerium die Genehmigung für den Verkauf von Hähnchenfleisch, das aus tierischen Zellen gezüchtet wurde. Für die Herstellung werden lebenden Tieren Stammzellen entnommen, die in einer Kulturflüssigkeit aus Fetten, Aminosäuren, Vitaminen, Mineralien und Zucker landen. Dort vermehren sie sich und wachsen zu Muskelgewebe heran. Das Labor-Hähnchenfleisch sei zunächst nur in Restaurants erhältlich, so die Hersteller.

Und auch ein deutsches Unternehmen steht in den Startlöchern, um am Milliardenmarkt Labor-Lebensmittel zu partizipieren: Das 2020 gegründete Start-up Bluu Seafood nutzt ebenfalls die Stammzelltechnologie, um Alternativprodukte zu Fischstäbchen und Fischbällchen aus dem Gewebe von Lachsen und Forellen zu züchten. Die dadurch entstandene Struktur aus Muskelfasern wird mit pflanzlichen Proteinen angereichert. Die Produkte sind bereits marktreif. Die Berliner wagen nun den Sprung in die USA, haben einen Zulassungsantrag bei der Food and Drug Administration (FDA) eingeleitet und versuchen parallel, die behördliche Zulassung in Singapur zu erhalten.

Bis Essen aus dem Labor auch auf unseren Tellern landet, wird aber noch einige Zeit vergehen: „Lebensmittel aus Zell- und Gewebekulturen fallen unter die Novel-Food-Verordnung. Für eine Marktzulassung in der Europäischen Union müssen die Produkte zahlreichen Tests unterzogen werden, um zu sehen, ob der Verzehr unbedenklich ist“, sagt Saskia Gentz, Referentin Lebensmittel und Ernährung von der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein.

Doch wie sieht es mit der Akzeptanz bei den Konsumentinnen und Konsumenten aus? Junge Menschen stehen neuen Lebensmitteln generell aufgeschlossen gegenüber, so Gentz. Ob sich Alternativen zu pflanzlichem und tierischem Eiweiß irgendwann durchsetzen, hänge allerdings vom Preis, der Verfügbarkeit, dem Geschmack und auch von der Einstellung zu neuartigen Technologien ab.

363,9 MT Fleisch
werden 2023 voraussichtlich weltweit produziert – 100 Millionen Tonnen mehr als im Jahr 2000.
Quelle: Food an Agriculture Organization oft the United Nations

735 Mio. Menschen
Menschen hungern weltweit - das entspricht circa zehn Prozent der Weltbevölkerung.
Quelle: United Nations

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