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1KOMMA5° - Hightech trifft Handwerk

Text von Stefan Weber
14.03.2024
Unternehmen

Für immer kostenlos von Wind und Sonne leben – das ist die Vision des Hamburger Start-ups 1KOMMA5°.  Die Geschäftsidee, analoge und digitale Welten intelligent zu verknüpfen, kommt bei Kunden und Investoren gleichermaßen gut an. Zwei Jahre nach seiner Gründung besitzt das Unternehmen den Status eines „Einhorns“: Es wird mit mehr als einer Milliarde Euro bewertet.

Früher machten sich viele Unternehmensgründer die Sache einfach: Wie selbstverständlich gaben sie ihrer Firma den eigenen Namen. So tragen Firmen wie Faber-Castell, Porsche oder auch Bayer den Familiennamen ihrer Gründer. Wem das zu einfallslos war, entwickelte Akronyme wie der Discounter ALDI oder schicke Kunstwörter wie der Chemiekonzern LANXESS.

Die hohe Kunst der Namensgebung besteht darin, einen Begriff zu finden, der markant und unverwechselbar ist und im Idealfall auch noch eine Botschaft beinhaltet. Daran gemessen, haben die Gründer des Hamburger Energie-Start-ups 1KOMMA5° vieles richtig gemacht. 1KOMMA5° – die Kombination aus Ziffern und Buchstaben vermittelt genau jene Assoziationen, die zur Geschäftsidee des Unternehmens überleiten: UN-Klimakonferenz 2015 in Paris und das Bekenntnis aller teilnehmenden Staaten, die Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Dieses Ziel ist nach Ansicht der meisten Experten zwar kaum mehr zu erreichen. Umso wichtiger ist es, die klimaschädlichen Emissionen noch konsequenter zu vermeiden. Dazu will 1KOMMA5° einen Beitrag leisten.

Eine Software entscheidet: Strom verbrauchen, kaufen oder verkaufen?

1KOMMA5° verkauft Solaranlagen, Stromspeicher, Wärmepumpen sowie Wallboxen für E-Autos an Privathaus­halte und Gewerbetreibende und vernetzt die Geräte miteinander. Herzstück dieser Systeme ist ein etwa bierdeckelgroßes, selbst entwickeltes Steuergerät (Heartbeat), das die Anlage mit dem Stromnetz und der Strombörse verknüpft. Heartbeat ist eine Art intelligenter Energiemanager. Seine Software sorgt dafür, dass Strom möglichst dann eingekauft und – in Batterie-, Wärmepumpenspeicher oder E-Auto-Batterie – gespeichert wird, wenn er gerade günstig ist.

Ist elektrische Energie dagegen gerade teuer, stellt Heartbeat sicher, dass der Strom vom eigenen Dach und aus den Batteriespeichern ins Netz gespeist und verkauft wird. Auf diese Weise reduziert sich die Stromrechnung der Nutzer erheblich. „Wir können Ladestationen für Elektroautos, Stromspeicher oder Wärmepumpen so steuern, dass wir einen durchschnittlichen Strompreis von 15 Cent pro Kilowattstunde statt der üblichen 40 Cent garantieren können“, erläutert Philipp Schröder, CEO und Mitgründer von 1KOMMA5°. Und das, so verspricht der 40-Jährige, sei noch nicht das Ende. Seine Vision ist, irgendwann „für immer kostenlos von Wind und Sonne leben zu können“.


Dieser Artikel ist zuerst in 
Character erschienen, dem Gesellschaftsmagazin der Bethmann Bank. Weitere Informationen zur aktuelen Ausgabe finden Sie auf unserer Webseite.

Vor gut zwei Jahren hat Schröder 1KOMMA5° gemeinsam mit drei früheren beruflichen Weggefährten gegründet. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits eine steile Karriere in der Energiewende-Branche hingelegt: Er war Deutschland-Geschäftsführer von Tesla, später dann Chef und Teilhaber des Stromspeicher-Unternehmens „sonnen“. Als dort 2018 der Ölkonzern Shell einstieg, verabschiedete sich Schröder – im Gepäck ein 18-monatiges Wettbewerbsverbot. „Diese Zeit habe ich gut genutzt“, meint der gebürtige Lüneburger. Er gründete ein Fintech-Unternehmen, veräußerte es bald darauf wieder und entwickelte den Businessplan für sein Herzensprojekt: 1KOMMA5°. 

Handwerk hat Potenzial – wenn es seine Prozesse verbessert

„Die Technologie, also Solaranlagen, Batteriespeicher, Wärmepumpen sowie Lade­stationen für E-Autos, war vorhanden. Aber die letzte Meile auf dem Weg zum Kunden, also Installation und Service, war häufig ein Hürdenlauf. Zudem waren die Wertschöpfungsketten schlecht strukturiert. So entstand die Geschäftsidee für 1KOMMA5°“, sagt Schröder. Ungeachtet aller intelligenten Technik hat das Start-up eine sehr klassische, bodenständige Basis: das Handwerk. Zum einen baut 1KOMMA5° eigene Kapazitäten auf, um die verkauften Anlagen zu installieren und so Gebäude energieeffizienter zu machen. Zum anderen übernimmt das Unternehmen etablierte Fachbetriebe. Schröder sieht im Handwerk erhebliche Potenziale – wenn die Betriebe es schaffen, ihre Strukturen und Abläufe zu verbessern und die Digitalisierung voranzutreiben. So sucht 1KOMMA5° insbesondere nach regional führenden Betrieben mit einem Millionenumsatz, nachgewiesener Profitabilität und einem guten Standing bei Zulieferern. „Die Handwerker haben die Kundenbeziehungen und das Know-how. Wir sorgen für Wissenstransfer, die Optimierung der Prozesse und für Digitalisierung.“ 1KOMMA5° zahlt einen Kaufpreis und räumt den Verkäufern eine Rückbeteiligung ein.

Das Konzept kommt an. Aktuell unterhält das Unternehmen mehr als 65 Standorte mit rund 1.700 Mitarbeitenden in Deutschland, Schweden, Finnland, Italien, Dänemark, Spanien und Australien. Betreut werden etwa 100.000 Kunden. „Wir werden 2023 etwa 500 Millionen Euro umsetzen und erwarten einen Gewinn von rund 50 Millionen Euro“, sagt der CEO. In den nächsten Jahren soll es in großen Schritten vorangehen. Im Jahr 2030 will 1KOMMA5° dann mit 10.000 Beschäftigten gut zehn Milliarden Euro umsetzen und in mehr als einem Dutzend Ländern 1,5 Millionen Gebäude umgerüstet haben.

Der rasante Start und das ambitionierte Expansionstempo erfordern zunächst hohe Investitionen. Besonders deshalb, weil 1KOMMA5° bald neben einem Forschungszentrum in Berlin auch eine Solarmodul-Produktion in Deutschland aufbauen will. Die Fertigung soll in den neuen Bundesländern angesiedelt werden; bis 2030 könnten dort bis zu 1.000 neue Arbeitsplätze entstehen.

Das Unternehmen ist für die Gründer ein Lifetimeprojekt

Bei Geldgebern stößt das Geschäftsmodell auf großes Interesse. Bekannte Venture-Capital-Firmen sowie namhafte vermögende Familien wie Haniel, Wacker oder Kreke und Geschäftsleute wie Jan Klatten haben hohe Summen bereitgestellt. Inzwischen ist das Energieunternehmen mit mehr als einer Milliarde Euro bewertet – eine Größenordnung, bei der die Start-up-Szene respektvoll von einem „Einhorn“ spricht. Die vier Gründer halten aktuell knapp 40 Prozent der Anteile und besitzen Schröder zufolge ausreichend Stimmrechte, „die uns Herr im Haus bleiben lassen“. Ob das so bleibt? Da gibt der CEO keine Prognose ab. Aber er betont, dass es keine Exit-Strategie gebe. „Wir betrachten 1KOMMA5° als Lifetimeprojekt.“ Für 2025 streben die Hamburger den Gang an die Börse an. Damit würden sich neue, umfangreiche Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung ergeben.

Ambitionierte Pläne, viel Optimismus. Aber ist das hohe Tempo zu halten? Klagt nicht das Handwerk, es fehlten schon heute mehr als 200.000 Fachkräfte, um die Energiewende zu bewältigen? 1KOMMA5° dagegen spürt an dieser Stelle noch keinen Engpass. Es gebe weit mehr Bewerbungen als offene Stellen, betont Schröder. Andererseits existierten durchaus auch Risiken, vor allem mit Blick auf die Weltpolitik: „Niemand weiß zum Beispiel um die Zukunft von Taiwan, der globalen Chipfabrik. Wenn es dort zu politischen Unruhen kommt, könnten Lieferketten sehr schnell durcheinandergeraten.“

Und noch eine Frage stellt sich: Wird nicht mancher Immobilienbesitzer in konjunkturell schwierigen Zeiten mit hohen Zinsen davor zurückschrecken, einen hohen fünfstelligen Betrag in die Energieeffizienz seines Hauses zu stecken? „Gut möglich“, räumt Schröder ein. „Aber kein Kunde muss auf einen Schlag die gesamte Hardware erwerben. Er kann auch zunächst nur eine Photovoltaikanlage oder eine Wallbox kaufen und das System später Schritt für Schritt ergänzen, um die Stromkosten höchstmöglich zu senken.“ Der Gründer hält das Geschäftsmodell von 1KOMMA5° für so stark, dass es auch konjunkturellen Dellen trotzen kann. „Außerdem reduzieren wir Risiken, indem wir in möglichst vielen Ländern aktiv sein wollen.“

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