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Kreuzung aus Fahrrad und Transporter

Text von Maria Kessen
23.06.2023
Unternehmen

Das Berliner Start-up Onomotion hat ein E-Lastenrad entwickelt, das Paketdienste zunehmend als Alternative zu herkömmlichen Lieferwagen entdecken. Vor allem in Großstädten entsteht ein neuer Markt für innovative Lieferfahrzeuge. Welche Anbieter und welche Fahrzeug-Designs sich am Ende durchsetzen, ist noch unentschieden.

Bevor Murat Günak, Philipp Kahle und Beres Seelbach auf die Idee kamen, den Elektro-Lastenrad-Anbieter Onomotion zu gründen, drehte sich bei ihnen jahrelang alles um Autos. Günak arbeitete lange Zeit in der Automobilindustrie und hatte es bei Volkswagen bis zum Chefdesigner gebracht, als er im Jahr 2007 den Konzern verließ. Danach war er an der Entwicklung des französischen Elektrofahrzeugs Mia Electric beteiligt. Seelbach hatte im Jahr 2009 einen Handel für E-Autos gegründet, von Berlin aus agierte er als Generalimporteur für Mia Electric. Im Jahr 2014 stieß Kahle als Vertriebsleiter zum Unternehmen dazu.

Über die Jahre reifte bei den drei Geschäftspartnern eine Erkenntnis. „Elektroautos sind zwar umweltfreundlicher als Verbrenner, der Weisheit letzter Schluss sind sie aber nicht,“ fasst Seelbach zusammen. „Gerade in Großstädten braucht man flexiblere, kleinere und smartere Fahrzeuge – vor allem, wenn es um die Auslieferung von Waren und Paketen geht.“ Aus dieser Motivation heraus gründete er im Jahr 2016 gemeinsam mit Kahle und Günak das Start-up Onomotion. Das Ziel: Elektro-Lastenräder entwickeln und bauen, die eine echte Alternative zu herkömmlichen Paket-Lieferfahrzeugen sind. Im Jahr 2019 lieferte Onomotion die ersten elektrobetriebenen Lastenräder an Berliner Kunden aus – unter dem Namen „Ono Pedal Assisted Transporter“ oder kurz Ono.

Das Ono mutet wie eine eigene Fahrzeugklasse an – rein optisch steht es zwischen Fahrrad und kleinem Transporter. Das elektrobetriebene Lastenrad ist ein Nutzfahrzeug, das rechtlich als Fahrrad durchgeht – ein Führerschein ist zum Fahren nicht erforderlich. Das Rad ist einfach zu handhaben: Der Fahrer muss anfangs nur leicht in die Pedale treten, bis der Elektromotor anspringt. Weil das Dreirad nur 116 Zentimeter breit ist, kann es auf Radwegen fahren und sich so am Autostau vorbeischlängeln. Ein echter Hingucker ist die Kabine, die den Fahrer vor Wind und Regen schützt. Ins Auge fällt außerdem der Frachtcontainer. „Weil man ihn abnehmen kann, lässt er sich sehr schnell beladen,“ erklärt Seelbach, „eine gute Voraussetzung für eine effiziente Stadtlogistik.“ Die Container haben zwei Kubikmeter Volumen und können 200 Kilogramm Ladung tragen. Auch das Problem der Reichweite ist gelöst. Der Akku des Onos reicht für eine Fahrt von 30 Kilometern, ein zweiter Akku an Bord verdoppelt die Reichweite.

Das Potenzial von E-Lastenrädern ist riesig, nicht nur in Berlin. Wegen des Onlineshopping-Booms in den vergangenen Jahren ist der Lieferverkehr in Deutschland stark angestiegen. Im Jahr 2020 erreichte das Sendungsvolumen in Deutschland mit über vier Milliarden Paketen eine neue Höchstmarke. In der zweiten Hälfte des Pandemiejahres 2020 wuchs diese Zahl um satte 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Experten gehen von weiterhin starkem Wachstum aus. Schätzungen zufolge wird die Zahl der Paket-, Express- und Kuriersendungen in Deutschland bis Ende 2025 auf über fünf Milliarden jährlich steigen. Für die Logistikbranche bedeutet das eine große Herausforderung – besonders in Innenstädten. Immer mehr Logistikdienstleister schauen sich deshalb nach alternativen Mobilitätskonzepten um.

Emissionsfreie E-Lastenräder wie das Ono könnten das Rennen auf der letzten Meile machen. Mit einer auf 25 Kilometer pro Stunde begrenzten Geschwindigkeit kommen die E-Lastenräder zwar nicht an die Geschwindigkeit von Verbrennern heran, doch das ist in Städten auch gar nicht nötig. Und: Die Lastenräder können in sehr kleinen Parklücken parken – oder sogar auf Bürgersteigen. Zudem erreichen sie auch enge Innenhöfe. „Am Ende ist der Lieferdienst mit unserer Lösung schneller als mit einem Auto, weil er näher an einer Zustelladresse parken und die Radinfrastruktur nutzen kann,“ sagt Seelbach.

Durch sogenannte Mikro-Depots kann die schnelle Auslieferung in Innenstädten noch weiter optimiert werden. An diesen dezentralen Orten können Logistikfirmen befüllte Container zwischenlagern und dann auf ein Lastenrad verladen. Mehrere Kunden von Onomotion haben bereits solche Mikro-Depots eingerichtet. „Geeignet sind dafür zum Beispiel Parkhäuser“, sagt Seelbach. „Manche werden wegen des zunehmenden Onlinehandels weniger genutzt und stehen deshalb nun für den Logistikverkehr zur Verfügung.“

Im Jahr 2019 begann das Unternehmen eine Kooperation mit dem Handels- und Paketdienstleister Hermes. In einer Pilotphase testete der Kunde die Lastenräder in dicht besiedelten Bezirken Berlins. Mit Erfolg: Mittlerweile hat Hermes die Paketzusteller-Flotte bundesweit auf 50 Onos aufgestockt – neben dem Ruhrgebiet sind die Lastenräder nun auch in Magdeburg und Hamburg für Hermes im Einsatz. Der Paketdienst DPD bestellte Ende vergangenen Jahres 50 E-Räder bei den Berlinern, mehr als 20 davon sind in der Hauptstadt unterwegs. Auch ein Berufsbekleidungsdienstleister und ein Lebensmittellieferdienst gehören zum Kundenstamm.

Das laufende Geschäftsjahr hat für Onomotion gut angefangen. Im Jahr 2021 betrug der Umsatz des Start-ups noch rund eine Million Euro – für 2022 erwartet die Geschäftsführung einen drei- bis viermal so hohen Erlös. Erst vor wenigen Wochen zogen die rund 75 Mitarbeiter in einen neuen Firmensitz in Berlin-Mitte um.

Neben Onomotion gibt es noch mehrere Anbieter auf dem B2B-Markt für E-Lastenräder, darunter Rytle aus Bremen und Bayk aus Pielenhofen bei Regensburg. Im Gegensatz zu den Onos kommen die meisten anderen Räder mit offener Fahrerkabine daher – das Bayk liegt zudem viel tiefer auf der Straße. Welches Design sich in den kommenden Jahren durchsetzen wird, ist schwer vorherzusagen.

Alle Anbieter profitieren jedoch davon, dass viele Großstädte eine Mobilitätswende anstreben und in eine verbesserte Radverkehrsinfrastruktur investieren. Nicht nur in Deutschland: „Die Pariser Bürgermeisterin will die Innenstadt autofrei machen und hat ganze Straßen für den Fahrradverkehr frei gemacht,“ freut sich Seelbach. Für Logistiker könnte das ein weiterer Grund sein, in den kommenden Jahren verstärkt E-Lastenräder anzuschaffen statt herkömmlicher Lieferwagen.

5,7 Milliarden
Prognostizierte Anzahl der jährlich in Deutschland versendeten Paket-, Express- und Kuriersendungen im Jahr 2025 (Schätzung). Das ist ein Anstieg um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 2020.
Quelle: Bundesverband Paket und Expresslogistik

8 Millionen
Tägliche Zahl der Paketempfänger in Deutschland im Jahr 2020
Quelle: Bundesverband Paket und Expresslogistik

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