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Die Game-Changer

Text von Heike Fischer
24.02.2023
Vermögen

Die Ziele sind beim Frauenfußball-Verein Viktoria Berlin hoch gesteckt: „Wir stehen für nachhaltiges und soziales Female Movement.“

Sechs Gründerinnen haben 2022 das erste Frauen-Team des FC Viktoria 1889 Berlin übernommen – und wollen nichts weniger als einen Paradigmenwechsel im Fußball herbeiführen. Nicht nur der Aufstieg von der dritten in die erste Liga, sondern eine nachhaltige Veränderung des deutschen Sportbetriebs insgesamt ist das Business-Ziel des Gründungs-Konsortiums. Dem Start-up gehören bekannte Namen an: die zweimalige Fußball-Weltmeisterin Ariane Hingst, die mehrfache Vorstandsvorsitzende und Aufsichtsrätin Tanja Wielgoß, die Marketing-Expertin Lisa Währer, die Unternehmerin und Mehrfach-Gründerin Verena Pausder, die BRLO-Craft-Beer-Geschäftsführerin Katharina Kurz sowie die Journalistin und Podcast-Unternehmerin Felicia Mutterer.

Die Mischung an Kompetenzen zeigt: Die Gründerinnen sehen in ihrem Netzwerk, in das verschiedenste Erfahrungen und Persönlichkeiten eingebracht werden, den Schlüssel zum sportlichen und auch zum wirtschaftlichen Erfolg.

Frauenfußball als Renditebringer

Das Frauen-Team des FC Viktoria Berlin wurde als GmbH ausgegliedert, um ein unabhängiges Management und größere Investitionen zu ermöglichen. In die Gründung haben bisher 87 Investoren insgesamt rund eine Million Euro Kapital gesteckt. Dabei setzt das Management auf private Investoren anstelle von Unternehmen und Großinvestoren.

Zu den Investoren gehören Frauen und Männer. Jung und Alt. Sportler und Künstler. Manager und Musiker. Unbekannte und Bekannte – wie etwa die ehemalige Weltklasse-Schwimmerin Franziska van Almsick als Aufsichtsrätin. Auch Ex-Ski-Rennläuferin Maria Höfl-Riesch und die TV-Moderatorin Dunja Hayali investierten. „Sie alle unterstützen das Projekt als emotionales Investment, nicht um die beste Rendite zu bekommen“, ist sich Viktoria-Geschäftsführerin Lisa Währer sicher, „aber es ist auch nicht als Charityaktion der Investoren gedacht. Wir wollen zeigen, dass Fußball mit Frauen genauso attraktiv und lukrativ ist wie bei den Männern und dass man damit Gewinne erzielen kann.“

Frauen als Vorbilder gesucht

Als aktive Unterstützerin sieht sich auch Ex-Skirennläuferin Maria Höfl-Riesch: „Ich bringe mein Netzwerk und meine Erfahrung ein. Ob das Investment vielleicht irgendwann einen Gewinn für mich bringt, ist erstmal nebensächlich und nicht der Grund für mein Engagement. Dass es bei Frauen im Sport noch einiges an Nachholbedarf gibt, ist ja offenkundig. Da geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um Wertschätzung und Sichtbarkeit. Denken wir zum Beispiel an Vorbilder aus dem Sport: Junge Mädchen haben davon zu wenige, dabei weiß ich ja selbst, wie wichtig diese sind. Nicht nur der Fußball, auch der Skisport ist eine totale Männer-Domäne. Es gibt im gesamten Ski-Weltcup-Zirkus keine einzige Trainerin. Auch die TV-Experten sind meistens Männer, sogar bei Damen-Rennen.“

Was es, abgesehen vom notwendigen Kapital, sonst noch für eine derartiges Investoren-Projekt braucht? Leidenschaft, Ehrgeiz, Mut, Zusammenhalt, Visionen, Ideen, Weitblick, Start-up-Mentalität. „Und einen Schuss Verrücktheit“, schmunzelt Währer. „Nicht zuletzt braucht man Durchhaltevermögen und muss auch mit Rückschlägen umgehen können. Wir wissen alle nicht, ob das Projekt erfolgreich sein wird. Es ist ein Marathon, kein Sprint. Es ist zu früh zu sagen, dass sich etwas nachhaltig verändert, aber wir haben ein Umdenken angeschoben und ein Leuchtturmprojekt im Frauenfußball geschaffen“, sagt sie, die ehemalige Fußballspielerin und „absoluter Fußballfan seit der Kindheit“ ist. Sie hat sowohl auf dem Platz als auch während ihrer Tätigkeit im Sportmarketing die ungerecht verteilten Voraussetzungen für Frauen und Männer selbst erlebt.

Nachhaltigkeit schlägt Kommerz

FC Viktoria Berlin will das Spiel verändern. Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit, Diversität und Inklusion, Nachhaltigkeit und Selbstbewusstsein, Female Empowerment und Leadership – die Ziele lesen sich wie ein Gegenentwurf zur hoch kommerzialisierten Fußball-(Männer)-Welt, von der sich die Fans aufgrund von Milliarden-Transfers, FIFA-Deals und korrupten Managern zunehmend abwenden. Dabei steht nicht Equal Pay im Vordergrund (die Summen im Männer-Fußball halten die Gründerinnen für absurd), sondern Equal Play. Um den Spielbetrieb zu professionalisieren, braucht es bessere strukturelle Bedingungen. Dazu gehören Gehälter und berufsgenossenschaftliche Absicherungen, Investitionen in Spielerinnen, ausreichende Trainingsplätze, Physio, Kinderbetreuung oder auch jemanden, der sich um so Banales wie das Wäschewaschen kümmert.

Ein weiterer Meilenstein hin zur Professionalisierung ist das erstmalige Winter-Trainingslager in Barcelona. „All dies sind keine Standards in der höchsten Amateurspielklasse, in der die Spielerinnen den Spagat zwischen Amateur- und Profi-Status und damit auch die Vereinbarkeit von Ausbildung/Beruf und Leistungssport meistern müssen. Wir müssen eine Infrastruktur aufbauen, in der sich die Spielerinnen voll auf den Sport konzentrieren können. Wir wollen Vorbilder, neue Narrative und Rollenbilder und bestmögliche Voraussetzungen für Nachwuchsspielerinnen schaffen“, erklärt Währer.

Auf dem Weg in die erste Liga

Zum Game Change gehört auch mehr Sichtbarkeit. In puncto mediale Aufmerksamkeit ist der Drittligist bereits bundesligareif. Die Vermarktungs-Maschinerie mit PR, Social Media, Merchandise und Ticketverkauf bis hin zur ersten Live-Übertragung eines Frauen-Regionalligaspiels im Free-TV läuft so erfolgreich wie der Spielbetrieb. Als Herbstmeister der Saison 2022/23 ist der Club auf gutem Weg, bis 2027 von der Regionalliga Nordost in die Frauen-Bundesliga aufzusteigen. Spätestens dann soll der Verein auch Profit machen.

Und die Spielerinnen? Was sagen sie zu dem neuen Rummel rund um das Stadion Lichterfelde in Steglitz-Zehlendorf? „Zunächst waren sie skeptisch“, beschreibt Währer die Anfänge der Übernahme ganz ehrlich, „aber dann haben sie gesehen, dass wir unsere Versprechen einhalten. Seitdem sie diese höhere Wertschätzung und Aufmerksamkeit spüren, geben sie noch mehr Gas. Man merkt, dass sie unfassbar motiviert sind.“

1,2 Prozent
Rendite erwarten die Aktionäre von Borussia Dortmund für das Jahr 2023.
Quelle: finanzen.net

122 Millionen Euro
verbuchte der FC Bayern München in der Bundesliga-Saison 2016/2017 als operatives Ergebnis – finanziell die bisher erfolgreichste Saison des deutschen Rekordmeisters.
Quelle: Statista

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