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Das schwimmende Labor

Text von Lilian Schmitt
05.05.2023
Nachhaltigkeit

Nicht nur Müll, sondern auch Pestizide und Antibiotika verschmutzen die Meere. Wie stark sind die Auswirkungen auf den Lebensraum Küste? Ein Forscherteam sucht nach Antworten, wie auch im Kurzinterview nachzulesen ist.

Globale Erwärmung, Abnahme des pH-Werts, Verschmutzung und Überfischung – all diese Gefahren bedrohen die Küstenregionen. Die französische Stiftung Tara Océan möchte nun herausfinden, wie sich diese Risiken genau auf Flora und Fauna auswirken. Im Rahmen der Expedition TREC (Traversing European Coastlines) soll außerdem aufgedeckt werden, wie die Lebensräume Meer und Land zusammenhängen. Zu diesem Zweck fahren 40 Wissenschaftler auf dem Forschungsschiff „Tara“ mehr als 25.000 Kilometer europäischer Küste ab und nehmen unzählige Proben. Im Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg werden diese anschließend ausgewertet.

Ursachen und Folgen besser verstehen

Von der Ostsee durch den Atlantik ins Mittelmeer – als schwimmendes Labor umfährt der zehn Meter lange Schoner „Tara“ den europäischen Kontinent. Im April 2023 ist das Segelschiff im französischen Lorient gestartet und soll bis Oktober 2024 unterwegs sein. Damit geht „Tara“ nun schon zum 13. Mal auf Forschungsexpedition. Zuvor war es bereits in den Gewässern vor Grönland, Patagonien oder Südgeorgien unterwegs. Die Reisen sollen helfen, Klima- und Umweltrisiken zu verstehen und herauszufinden, wie sich Verschmutzung auf die Meere auswirkt.

Für die Finanzierung der Expeditionen ist die Tara Océan Foundation zuständig, die zu 90 Prozent von privaten Geldgebern gespeist wird. Die Stiftung will nicht nur sicherstellen, dass den Forschenden ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, sondern auch, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse publik werden. „Für uns ist es wichtig, dass wir auf den Klimawandel aufmerksam machen und auf die Herausforderungen, die unsere Meere deshalb meistern müssen“, sagt Laure-Emmanuel Thiébault, Verantwortliche für das Fundraising der Stiftung. Dafür veranstaltet Tara Océan zum Beispiel Workshops mit Schülern oder sensibilisiert auch politische Entscheidungsträger.

Pestizide und Antibiotika – die große Gefahr

Die Europa-Tour ist für „Tara“ eine besondere Mission. Bei ihren bisherigen Expeditionen war der Schoner immer nur auf hoher See unterwegs. Jetzt will die Stiftung in Kooperation mit Wissenschaftlern, darunter das EMBL, auch an Land forschen: An 42 Orten entlang der europäischen Küste sammeln Forscherinnen und Forscher Proben – an Land und im Wasser. Ziel des Programms TREC ist es, Modelle zu entwickeln, mit denen die Wissenschaftler vorhersagen können, wie Verschmutzungen die Lebensräume von Meer und Küste verändern. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf chemischen Verunreinigungen durch Pestizide und Antibiotika. „Wir wollen verstehen, wie sich die Folgen zum Beispiel der Urbanisierung und der Landwirtschaft auf die Umwelt an den Küsten auswirken", sagt Thiébault.

Die Pestizide, die auf den Feldern versprüht werden, um Unkraut, Insekten, Bakterien oder andere Schädlinge zu vertreiben, gelangen über den Regen in die Flüsse und schließlich ins Meer. Die Hauptquellen von Antibiotika sind dagegen ungefilterte Abwässer und die Ausleitungen aus Kläranlagen. Somit wird die Antibiotika-Resistenz zum wichtigen Thema der Expedition. „Wir wollen die Frage klären, ob und wie sich die beiden Ökosysteme Land und Wasser gegenseitig beeinflussen“, sagt Detlev Arendt. „Wir wissen vieles über einzelne Organismen, aber nicht, wie die Systeme zusammenhängen“, so der Wissenschaftler des EMBL, der das Projekt TREC mitkonzipiert hat. Arendt hofft darauf, dass sich am Ende zeigt, dass beide Lebensräume widerstandsfähiger sind, als es sich die Wissenschaft vorstellen kann – das wäre der Idealfall. Ihm ist jedoch klar, wie unrealistisch sein Wunsch ist: „Bei bisherigen Probenentnahmen haben wir festgestellt, dass bereits irreversible Schäden entstanden sind, weil einige Pflanzen- und Tierarten ausgestorben sind.“

Im Interview geht Forscher Arendt genauer auf die Expedition ein:

 

„Bislang fehlte die Gesamtschau“

Der Entwicklungsbiologe Detlev Arendt ist Forscher am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL), Heidelberg, und will verstehen, wie sich Organismen an ihre Umwelt anpassen.

Herr Arendt, Sie haben das Projekt „TREC“ mitkonzipiert, bei dem „Tara“ entlang der europäischen Küste schippert. Weshalb ist die Expedition so wichtig?

Erstmals wollen wir die Küstenökosysteme erforschen, weil hier die Lebensräume Land und Wasser aufeinandertreffen. Die Biodiversität dort ist sehr reichhaltig. Aber der Mensch gefährdet die Küsten massiv, etwa durch Häfen oder Überfischung. Wir wollen deshalb zunächst feststellen, wie vielfältig der Lebensraum überhaupt ist. Daher sammeln wir nicht nur im Wasser, sondern auch an Land Proben. Wir sind uns sicher: Wenn wir alle Ergebnisse als Gesamtheit betrachten, können wir Verbindungen herstellen, die vorher nicht möglich waren. Bislang fehlt uns diese Gesamtschau des Ökosystems der europäischen Küsten.

Welchen Herausforderungen müssen Sie sich dabei stellen?

Die Organisation von TREC war sehr herausfordernd. Allein die Koordination der Probenentnahmen und -transporte beschäftigte uns zwei Jahre lang. Damit wir Proben nehmen dürfen, mussten wir vorher die Genehmigungen der 19 verschiedenen Länder einholen. Das Verfahren ist dabei bei jedem Land anders. Wir haben extra hierfür ein juristisches Team zusammengestellt, das sich in die Gesetze eingearbeitet und mit den Behörden zusammengearbeitet hat.

Was ist Ihr persönliches Ziel der Forschungsreise?

Unser großes Ziel ist es, sagen zu können, in welchem Zustand die Küstenökosysteme Europas sind und wie sie funktionieren. Wenn sich Organismen an die Umwelt anpassen können, wollen wir wissen, wie sie das machen. Ich leite beispielsweise ein Projekt, bei dem wir den Platynereis, eine Ringelwurmart, erforschen. Dieser Wurm kommt mit verschiedenen Temperaturen klar und ist deshalb an den Küsten von Schweden bis Griechenland zu Hause. Ich möchte herausfinden, was ihn so anpassungsfähig macht.

25 Prozent
der in den Gewässern nachgewiesenen Pestizide sind verboten.
Quelle: Pestizidatlas

730 Tonnen
Plastikmüll verschmutzen das Mittelmeer – täglich.
Quelle: UN

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