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„Recycling ist erst einer der letzten Stationen der Kreislaufwirtschaft“

Text von Johanna Stein
17.06.2022
Nachhaltigkeit

Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ermöglicht einen ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltigen Umgang mit Rohstoffen. Christina Dornack, Professorin und Direktorin am Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft an der TU Dresden, ordnet ein, was eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft ausmacht.

Frau Dornack, was müssen wir uns unter Kreislaufwirtschaft vorstellen?

In einer Kreislaufwirtschaft produzieren und nutzen wir Produkte auf eine Art und Weise, dass sie so lange wie möglich im Einsatz sind. Dies bedeutet: Wir reparieren sie, wenn sie defekt sind oder arbeiten sie auf, wenn etwa das Design nicht mehr gefällt. Wir nutzen Sachen gemeinsam und verwenden sie wieder. ganz am Ende des Lebenswegs recyceln wir die Materialien. Das Ziel einer Kreislaufwirtschaft ist es, Produkte so lang wie nur möglich zu nutzen.

Warum sollten wir das tun?

Wenn wir Produkte durch regelmäßige Reinigungen oder Aufbereitung länger nutzen, reduzieren wir die Rohstoffmengen, die wir bei der Produktion verbrauchen. Wissen Sie, unsere Gesellschaft lebt sehr weit über ihre Verhältnisse. Nehmen wir nur einmal das Jahr 2022: In Deutschland haben wir schon Anfang Mai die Ressourcen verbraucht, die uns für das ganze Jahr zur Verfügung stehen. Wir müssen nachhaltiger damit umgehen, anderenfalls leben wir auf Pump der nächsten Generation.

Wenn das Bügeleisen defekt ist, sollte man es also besser reparieren lassen, statt es zu entsorgen und ein Neues zu kaufen. Aber was, wenn es sich gar nicht reparieren lässt? Oder wenn die Reparatur mehr kostet als die Neuanschaffung?

Kreislaufwirtschaft lebt nicht nur vom Verhalten der Verbraucher, sondern – ganz klar – auch von den Bemühungen der Unternehmen: Sie müssen bereits beim Design und bei der Auswahl der Materialien für ihre Produkte darauf achten, dass die Rohstoffe recyclebar sind, aber vor allem auch, dass die eingesetzten Rohstoffe eine möglichst lange Produktlebensdauer ermöglichen.

Aber Tatsache ist, dass Produkte immer weniger lang halten. Oder scheint das nur so?

Nein, das stimmt. Industrieunternehmen setzen heute zur Herstellung eines Produktes oft immer weniger Rohstoffe ein, damit sie wirtschaftlich, also mit weniger Ressourceneinsatz, produzieren können. Der Umsatz eines produzierenden Gewerbes ist oft abhängig von den Verkaufszahlen. Wir Verbraucher wollen so preiswert wie möglich kaufen und dabei möglichst immer das neueste Produkt haben. Vor 20 bis 30 Jahren habe ich eine Waschmaschine gekauft, die hat 18 Jahre gehalten. Heute geht das oft nicht mehr, weil wir so sparsam produzieren, dass die Kernfunktion eines Produkts zwar noch gegeben ist - aber eben nur über eine sehr kurze Lebensdauer.

Wie lösen wir das Problem?

Als Lösung für bestehende Produkte könnten neue Technologien wie das 3D-Drucken dienen. Es gibt inzwischen Anbieter, die Einzelteile für beispielsweise ein beschädigtes Bügeleisen nachbilden und dem Gerät so zu noch einmal gut zehn Jahre Einsatzzeit verhelfen.

Eine kreislauffähige Produktion müsste also den Preisdruck, unter denen Unternehmen stehen, durchbrechen. Wie könnte das geschehen?

Zunächst einmal: Niemand sollte mehr zahlen müssen, um nachhaltig wirtschaften zu können. Deshalb muss es Anreize geben, für Endverbrauchende sowie für Unternehmen. Hierfür brauchen wir eine andere Förderpolitik: Die Preise, die Unternehmen für Primärrohstoffe zahlen, enthalten derzeit noch gar keine Umweltkosten, also den Preis für die Umweltschäden, die wir bei der Gewinnung anrichten. Wenn wir die Umweltkosten einpreisen, würde das ganz anders aussehen.

Aber damit würden die Produkte automatisch teuer werden, oder? Niemand sollte doch mehr zahlen …

Da sehe ich die Politik in der Pflicht, etwa über eine Besteuerung oder über Subventionen, die Preise zu steuern. Generell bin ich ein Fan davon, Anreize zu schaffen, zum Beispiel in Form von Prämien. Aber auch ein Gebührenmodell ist vorstellbar, so wie beim CO2 Preis. Das sind inzwischen gelernte Methoden für Unternehmen. Sie legen dann nicht mehr einen Preis für das Produkt fest, sondern für die Leistung, die das Produkt im Laufe seiner Nutzungszeit erbringt.

Wie sieht das konkret aus? Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen das Beispiel Waschmaschinen: Wenn ein Hersteller für jeden Waschgang Geld bekommt, den ein Gerät absolviert, hat er ein Interesse daran, dass die Waschmaschine wieder 18 Jahre oder mehr statt nur fünf Jahre läuft – er wird also seine Produktionsprozesse, aber auch seine Wartungs- und Reparaturangebote entsprechend anpassen. Im Bereich Licht zeigt Philips schon heute, wie es funktionieren kann: Die Mitarbeiter installieren, warten und tauschen bei Bedarf die Leuchten aus. Auch das Recycling übernimmt Philips. Der Kunde zahlt lediglich für das genutzte Licht.

Gibt es bereits heute funktionierende Kreislaufwirtschaften?

Ja, Ebay als große Sharing- und Wiederverwendungsplattform ist ein Beispiel für länger genutzte Produkte. Ein weiteres Erfolgsbeispiel sind die immer beliebter werdenden Repair-Cafés. Wer dort hingeht, bekommt nicht nur fachliche Unterstützung, sondern findet auch das für die Reparatur notwendige Werkzeug vor.

Egal wie stabil ein Produkt gebaut ist, irgendwann läuft dessen Lebenszeit ab. Was passiert dann mit kreislauffähigen Produkten?

Die letzte Station in einer stofflichen Kreislaufwirtschaft ist das Recycling: Die ursprüngliche Produktgestalt wird aufgelöst und die Sekundärrohstoffe können als Ersatz für Primärrohstoffe wieder für neue Produkte genutzt werden. Kunststoff beispielsweise wird geschreddert, gewaschen, aufgeschmolzen und wieder zu Pellets verarbeitet. Das Problem dabei: Viele Produkte enthalten sogenannte Additive, die schadstoffhaltig sind, etwa bromierte Fammschutzhemmer. Diese müssen wir aus dem Kreislauf ausschließen, damit sie nicht in den Sekundärrohstoffen landen. Das geht am besten über eine Müllverbrennung, die auch noch Energie produziert. Schadstoffe werden in der Asche aufkonzentriert, diese muss dann aus dem Kreislauf ausgeschlossen und entsorgt werden. Beim Recycling müssen wir also Energie und Rohstoffe aufwenden - deshalb sollte es der letzte Schritt in einer stofflichen Kreislaufwirtschaft sein.

632 Kilogramm
Müll produziert jeder Deutscher jährlich. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 527 Kilogramm pro Kopf und Jahr.
Quelle: https://www.recyclingmagazin.de/2022/03/18/welt-abfall-index-nennt-nationen-mit-besonders-umweltschaedlicher-abfallwirtschaft/

65 Prozent
des Haushaltsmülls in Deutschland werden recycelt. Damit ist Deutschland Recycling-Weltmeister!
Quelle: https://www.globalcitizen.org/de/content/best-and-worst-recyclers-in-the-world/

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