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Ein Haus aus Hanf

Text von Sarah Sommer
08.12.2022
Nachhaltigkeit

Eine Hamburger Familie wagt ein Experiment – und baut ein Haus mit Steinen aus Hanf. Das spart CO2 und Kosten, bringt aber auch einige Herausforderungen mit sich.

Eigentlich hatte alles ganz unspektakulär angefangen. Birte und Gordon Gifaldi wollten ein Haus bauen: In Lurup, am nordwestlichen Stadtrand Hamburgs, hatten sie Anfang 2020 ein schmales Grundstück ergattert. Das baufällige Haus, das darauf stand, wollten sie abreißen und so Platz schaffen für ein Einfamilienhaus. Dann aber kam Corona – „und auf einmal hatten wir sehr viel Zeit, um unser Bauprojekt zu planen“, berichtet Gordon Gifaldi. Die Baupläne, so viel lässt sich vorab verraten, wurden dadurch immer ambitionierter.

Die Gifaldis dachten also noch einmal neu nach: Statt eines Einfamilienhauses, überlegten sie, könnte man doch gleich ein Mehrgenerationenhaus bauen. „Meine Eltern planten ohnehin, zurück zu uns in den Norden zu ziehen“, sagt Birte Gifaldi. Also holte das Paar die ältere Generation mit ins Boot. Bei der Planung wollten sie aber auch an die Jüngeren denken. „Uns war es sehr wichtig, nachhaltig zu bauen“, sagt Gordon Gifaldi. Denn: „Wenn man ein Haus baut, dann handelt man ja nicht nur für sich allein. Man hinterlässt auch seinen Kindern etwas.“ Damit meint er weniger den monetären Wert, den die Immobilie in Zukunft haben wird. „Mit der Art und Weise, wie wir bauen, vermitteln wir auch ein Verständnis davon, welche Werte uns wichtig sind.“

Die Entscheidung, ob und wie man baut, ist in der Tat eine folgenreiche – auch für kommende Generationen. Rechnet man die Emissionen zusammen, die beim Bau und Betrieb von Immobilien entstehen, dann verursacht die Baubranche rund 40 Prozent der weltweit jährlich produzierten Treibhausgase.

Im Lebenszyklus einer Immobilie gibt es drei Faktoren, die für die hohe CO2-Bilanz verantwortlich sind. Erstens: In der Bauphase ist es vor allem die enorme Menge an Rohstoffen, die den CO2-Ausstoß in die Höhe treibt. 517 Millionen Tonnen Baurohstoffe werden allein in Deutschland jedes Jahr verbaut, und deren Produktion ist extrem energieintensiv. Im Betrieb sind es dann zweitens hauptsächlich schlechte Dämmung und mangelnde Energieeffizienz, die das Klimabudget einer Immobilie strapazieren.

Noch gar nicht einkalkuliert ist dabei drittens die Tatsache, dass ein Haus irgendwann auch an das Ende seiner Lebensdauer kommt. Die Baubranche sorgt deutschlandweit jährlich für 230 Millionen Tonnen Abfall, das ist mehr als die Hälfte der jährlichen Gesamtabfallmenge im Land. Ziegel, Beton, Holz, Glas, Kunststoffe: All diese Rohstoffe landen meist auf Schutthalden, seltener im Unterbau von Straßen. Wer also auf traditionelle Weise ein Haus baut, hinterlässt der nächsten Generation auf der Habenseite zwar ein Heim und eine in vielerlei Hinsicht wertvolle Immobilie – aber im Soll eben auch einen tiefen CO2-Fußabdruck.

Die Gifaldis wollen es anders machen. Und wagen daher ein Experiment: Sie bauen ihr Mehrgenerationenhaus aus Hanf. Wirklich? Aus Hanf? Wie geht das denn? Das werden die beiden seither ständig gefragt. „Dabei ist ja eigentlich bekannt, dass Hanf eine traditionsreiche Nutzpflanze ist“, sagt Birte Gifaldi. Ihre Tante etwa arbeitet schon seit langem beruflich mit Hanftextilien. Sie war es auch, die das Paar auf die Idee brachte, mit Nutzhanf zu bauen. Aus ihrem Netzwerk wusste sie: In vielen europäischen Ländern kommt Nutzhanf bereits in der Bauindustrie zum Einsatz. In Deutschland allerdings ist der alternative Baustoff noch weitgehend unbekannt. „Deshalb kommt von vielen auch erstmal ein Kalauer wie: Oh nein, wenn es bei euch brennt, ist doch bestimmt ganz Hamburg high“, berichtet Gordon Gifaldi lachend. Das ist natürlich Unsinn – denn mit der Droge Cannabis hat der Hanf-Hausbau überhaupt nichts zu tun.

Mit Kalk und Wasser vermischt, entsteht aus geschredderten Hanf-Stengeln ein Baustoff, der viele Vorteile mit sich bringt, erklärt Henrik Pauly, Bauingenieur und ausgebildeter Betonbauer aus Tübingen. Der 32-Jährige ist einer von ganz Wenigen in Deutschland, die sich mit dem Hanfbau auskennen. Er war es auch, der die Gifaldis von den Vorzügen des Bauens mit Hanf-Kalk-Steinen überzeugte. Sein Hauptargument: Weil die Rohstoffe auf dem Acker wachsen, muss in ihre Herstellung viel weniger Energie investiert werden als in klassische Baustoffe wie Beton. In den Hanfstengeln ist CO2 gebunden – das gleicht den CO2-Abdruck des Kalks aus. Verbaut werden die Steine in einem Ständerwerk aus Holz oder in einem filigranen Betonskelett.

Ein weiterer Vorteil: Wer mit Hanfkalk baut, erklärt Pauly, braucht für die Außenwände keine zusätzliche Dämmschicht. Denn die Bausteine sorgen durch ihre natürlichen Eigenschaften dafür, dass sich Temperatur und Luftfeuchtigkeit in den Räumen ausgleichen. Im Sommer wirken sie kühlend, im Winter sorgen sie dafür, dass sich keine Feuchtigkeit staut. Hanfkalk ist zudem leicht und daher auch im Transport und der Verarbeitung energiesparend. „Ich persönlich finde auch, es macht einfach Spaß, mit diesem Baustoff zu arbeiten“, sagt Pauly.

Doch wie das genau geht, das wissen in Deutschland bislang nur sehr wenige Handwerker, Architekten und Bauplaner. Es war daher nicht ganz einfach, Dienstleister zu finden, die bereit waren, sich auf das Hanf-Experiment einzulassen. „Es hat eine Weile gedauert, bis wir eine Architektin gefunden haben, die nun mit Henrik Pauly zusammen unsere Pläne umsetzt“, sagt Gifaldi. Am Ende war es dann aber gerade das Arbeiten mit dem neuen Baustoff, das einen Bauleiter und Handwerksunternehmen in der Region neugierig machte. „Auch die Bau-Unternehmen sehen ja, dass einerseits immer mehr Menschen nachhaltiger bauen wollen“, sagt Gifaldi. „Und dass andererseits klassische Baustoffe immer teurer und knapper werden.“ Sein Eindruck: Die Bereitschaft, sich mit alternativen Baumaterialien auseinanderzusetzen, wachse daher. Hanfingenieur Pauly, der vor seinem Studium selbst als Betonbauer gearbeitet hat, bestätigt das. „Die Bau-Branche ist eigentlich recht träge, aber gerade kommt doch etwas Bewegung rein.“ Er lernte die Maurer selbst direkt auf der Baustelle an, zeigte ihnen, wie man mit den ungewohnt porösen und leichten Steinen umgeht.

Der Hanfbau ist so auf einem guten Weg: Der Rohbau steht, im Februar soll der Innenausbau beginnen, Ende 2023 will die Familie einziehen. Ansehen wird man dem Haus seinen experimentellen Charakter von außen auf den ersten Blick nicht, sagt Gifaldi: „Wir haben uns bei der Verkleidung des Erdgeschosses für ganz klassische, nordische Klinkersteine entschieden“, erklärt er. Aber im Inneren des Hauses werde dann manche Überraschung auf Besucher warten. Wie das genau aussehen wird? Darüber berichtet Te:nor im Frühjahr 2023 im zweiten Teil der Hanfbau-Serie.

6.900 Hektar
Nutzhanf werden heute in Deutschland angebaut, rund die Hälfte davon in ökologischem Landbau. Innerhalb von fünf Jahren hat sich die Anbaufläche damit fast verdoppelt.

1 Hektar
Hanf-Feld ergibt ein kleines Einfamilienhaus.

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